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Fast unbemerkt an der Lieblingsstrecke der Übersee-Touristen von Prag nach Wien liegt Český Krumlov – und dort das besterhaltene Barock- theater überhaupt.
Von Matthias Siehler 

Orpheus ist müde. Wie oft hat er heute schon seine geliebte, aber tote Euridice betrauert. Noch ein- mal lässt er seine Stimme anschwellen: „Euridice, Euridice!“ und wirft sich auf die Brust der Frau, die vor ihm un- beweglich unter einem Schleier auf einem Marmorkatafalk liegt. Hinter ihm flackern Feuerschalen, neben ihm stehen stumm die Freunde. Es ist dunkel, nur die wie versteinert wirkende Gruppe ist in unwirkliches Licht ge- taucht, von wehen Klängen umschwebt.

„Und danke, das war’s“, sagt eine Stimme aus dem Nichts auf Tschechisch. Leben kommt in die Szene, Licht geht an, das Team stellt die Handkamera ab, die ihren Träger und Führer mit einem mächtigen System aus Gewichten und Gegengewichten gefangen hält. Die Feuer- wehrmänner treten vor, denn schließlich gilt es, hier ein einmaliges, über 250 Jahre altes Ambiente zu schützen. Die leichtbekleidete Tote ist fröstelnd aufgesprungen, in unförmige Isolierstiefel und eine Daunenjacke geschlüpft. Die Chormitglieder holen sich Kaffee aus dem Spender, und Orpheus kontrolliert seine Szene auf dem Monitor. Ja, auch Bejun Mehta ist zufrieden.

Der Countertenorstar, der auf den großen Opernbühnen Europas und Amerikas brilliert, der vor allem für seine packenden dramatischen Darstellungen der einst von den Kastraten gesungenen Barock-Heroen gefeiert wird, ist diesmal nicht nur Akteur, sondern auch Produzent. Und im außer- gewöhnlichen Ambiente des ehemals Fürstlich Schwarzenbergschen Schlosstheaters in Böhmisch Krumau, dem tschechischen Český Krumlov, wird nicht nur eine Oper inszeniert und live gesungen. Hier wird gleichzeitig ein Film gedreht, dessen heimliche Hauptperson nicht aus Fleisch und Blut ist – sondern die alte Barockbühne mit ihrer funktionierenden Kulissenmechanik und der Originalausstattung.

Und deshalb brennen jetzt auch aus- nahmsweise bei den Einstellungen, die die Bühne von rückwärts zeigen, sogar die Feuer- schalen an der Rampe und die Kerzen in den Blechkisten der ersten drei Kulissengassen – unter den Argusaugen der extra ver- stärkten Feuerbrigade wie auch des wach- samen Schlosskastellan, der dieses 1992 unter die Ägide des UNESO-Kulturerbe gestellte Schmuckstück hütet wir seinen Augapfel.

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