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Interview: Klaus Kalchschmid | Süddeutsche Zeitung

Bejun Mehta gilt als einer der besten Countertenöre der Gegenwart. Jetzt bringt er sein aktuelles CD-Projekt „Che Puro Ciel“ auf die Bühne des Prinzregententheaters. Ein Gespräch über das Suchen und Finden in der Musik 

München – Bejun Mehta ist neben David Daniels und Andreas Scholl der vielleicht aufregendste Countertenor der mittleren Generation. In Salzburg war der 45-jährige Cousin von Zubin Mehta 2010 an der Seite von Christine Schäfer ein großartiger Didy- mus in Christof Loys Inszenierung von Händels „Theodora“, 2012 konnte man ihn dort in der Titelpartie einer konzertanten Aufführung von Händels „Tamerlano“ hö- ren. Auch in München konzertiert Mehta häufig, nur einmal aber stand er auf der Bühne des Nationaltheaters – in Händels „Orlando“. Gerade ist seine neue CD „Che Puro Ciel“ erschienen. Dieses Programm, das den Titel einer Arie von Glucks Orfeo trägt und den Übergang vom Spätbarock zur Klassik zum Thema hat, singt Bejun Mehta im Prinzregententheater.

SZ: Herr Mehta, gerade haben Sie letzte Korrekturen an einer Verfilmung von Glucks „Orfeo ed Euridice“ vorgenom- men. Was war das für ein Projekt? Bejun Mehta: Zunächst war ein Film nach einer historisierenden Aufführung mit Pu- blikum im wunderbaren alten Theater von Cesky Krumlov aus dem Jahr 1650 geplant. Doch ausgerechnet die Reform-Oper so rückwärtsgewandt zu zeigen, schien mir ein Akt gegen die Musikgeschichte. Irgendwann wurde dann die Idee geboren, einen „richtigen“ Film zu machen: ohne Publi- kum, aber nicht Play-back, sondern live gesungen mit Orchester, das man allerdings nur selten sieht. Wir haben auch unter der Bühne, in den Gängen und Garderoben und im – leeren – Zuschauerraum gefilmt. Das Stück muss nun auch nicht mehr mit Musik beginnen und auch nicht mit dem „Happy End“ enden. Aber ich verrate nicht, was wir genau zeigen werden!

Wann ist Premiere?

Die ist für verschiedene Orte geplant, vielleicht ist schon der kommende Januar in Salzburg möglich, wenn ich dort Orfeo in einer ganz anderen szenischen Produktion singen werde.

Warum haben Sie, obwohl Sie mit 14 Jah- ren noch eine großartige Platte mit Händel, Schuberts „Der Hirt auf dem Felsen“, Brahms und Britten aufgenommen haben, nach dem Stimmbruch sieben Jahre gewartet, bis Sie wieder mit dem Singen anfingen?

Ich sollte kurz danach mit Leonard Bern- stein seine „Chicester Psalms“ machen und hatte einfach das Gefühl, es könnte et- was passieren. Eigentlich ging der Stimmbruch ganz allmählich vor sich, die Sprechstimme sank einfach immer mehr. Doch ich bekam den Rat, bloß nicht wieder zu früh mit dem Singen anzufangen. Darauf habe ich gehört und dann den Fehler mei- nes musikalischen Lebens gemacht: in- dem ich als Bariton wieder anfing. Aber was für gute Countertenöre gab es damals – Mitte der Achtzigerjahre – als Vorbild, nicht zuletzt in den USA?

Wie haben Sie ihre hohe Stimme dann wieder gefunden?
Mit 27 oder 28 habe ich einen Artikel über David Daniels gelesen und da sah ich, dass seine Geschichte auch meine war; und ich habe entschieden, ganz allein einen Monat zu üben. Noch nicht einmal mein damaliger Freund wusste davon. Dann ging ich zu Marilyn Horne, die ich von meiner Knaben- Sopran-Karriere her kannte, und von da an ging alles sehr schnell.

Wenn man Sie auf dieser CD, aufgenom- men vor 31 Jahren, und heute hört, fällt auf, dass es fast die gleiche Stimme ist, bis hin zum charakteristischen Vibrato.

Na, die hohe Stimme – nur etwas tiefer – wiederzufinden, war wie Heimkehr. „Ah das ist es“, dachte ich sofort, sogar die alten Übungen habe ich damals verwendet.

George Benjamin hat die Countertenor- Partie seiner Oper „Written on skin“, die letztes Jahr in Aix-en-Provence uraufge- führt und auf CD veröffentlicht wurde, für Sie komponiert. Haben Sie den Kom- ponisten im Vorfeld getroffen, hat er seine Musik auf Sie abgestimmt?

Er hat sich alles angehört, was ich gemacht hatte. Dann habe ich ihn mehrmals in London getroffen; er hat Klavier gespielt, ich habe Verschiedenes gesungen. Er kam auch zu vielen Konzerten. Dann hat George eine Karte von meiner Stimme gezeichnet, auf der man sah, wie welche Töne klingen, wie sie sich im Forte oder im Piano verändert. Ich hab’ das nicht ganz verstanden (lacht). Während der Komposition habe ich George nur gebeten, dass er die Tendenz der Partie in die Tiefe nicht zu sehr betont.

Wie ist es, mit René Jacobs zusammenzuarbeiten, einem Dirigenten, der selbst ein berühmter Countertenor war. Kritisiert er Sie? Holen Sie sich Rat bei ihm? Wir haben leider erst 2008 beim szenischen „Belshazzar“ in Toulouse zusammengearbeitet. Ich hatte schon Angst, dass er mich zwingen könnte, anders zu singen. Aber als wir uns dann endlich trafen, wa- ren wir beide so froh darüber, dass wir uns fragten, warum wir es nicht schon früher gewagt hatten. Unter anderem haben wir dann 2010 eine Händel-Platte zusammen aufgenommen und jetzt „Che Puro Ciel“.

Was war die Idee bei diesem ungewöhnli- chen Programm, das den Untertitel „The Rise of classical Music“ trägt?
Die Arien stammen aus einem sehr kurzen Zeitraum, 1758 bis 1772, aber von Komponisten aus drei Generationen, dem jungen Mozart, dem alte Hasse und mittendrin Tommaso Traetta, Johann Christian Bach oder Gluck. Das war eine Phase des Experi- mentierens, der Versuch, die alten Formen zu öffnen. Viele der Stück sind keine Da-ca- po-Arien mehr, sondern durchkompo- niert. Arbaces „Vo solcando un mar crude- le“ aus Johann Christian Bachs „Artaserse“ ist vielleicht die altmodischste Arie der CD, aber manches klingt schon sehr neu. Die Platte endet ganz bewusst mit Farnaces „Già dagli occhi“ aus dem „Mitridate“ des 14-jährigen Mozart, wo man ahnen kann, was später passieren wird. Das ist bereits der Beginn von etwas ganz Neuem.

Gibt es Vorbilder, die Sie geprägt haben?

Aber bitte! Wie viele darf ich nennen, nur Soprane? Nur drei? Wie wär’s mit Arleén Auger, Christa Ludwig und – Fritz Wunderlich. Die drei verbindet vor allem eines, die Natürlichkeit beim Singen, und das schätze ich ungemein.

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