Interview zum Konzert | OVB online
Der Superlativ-Mann: Bejun Mehta über den Markt für Countertenöre und die Natürlichkeit des Gesangs
Wer von ihm spricht, redet in Superlativen. Bejun Mehta ist als Countertenor eine Klasse für sich – und der Solist mit der wohl ungewöhnlichsten Vorgeschichte. Der Amerikaner schrieb an der Universität von Yale eine Arbeit über Heinrich Heine, spielte Cello, arbeitete als Aufnahmeleiter und dirigiert mittlerweile auch. Am kommenden Mittwoch ist der 45-Jährige im Münchner Prinzregententheater zu erleben – mit höchstkarätiger Begleitung: Es spielt die Akademie für Alte Musik unter der Leitung von René Jacobs.
-Sie haben Deutsche Literatur studiert, leben seit einiger Zeit in Berlin…
…wobei München die passendere Stadt für mich wäre. Ich bin ja dauernd unterwegs. Und wenn ich daheim bin, will ich, dass alles perfekt ist. Berlin ist spannend, aber eine Stadt, die ein ständiger Work in Progress ist. Trotzdem war es die richtige Entscheidung, dort eine Wohnung zu haben. Es ist besser, da zu leben, wo man die meisten Freunde hat – gerade wenn man viel reist.
-Können Sie das Reisen noch genießen?
Ich gestehe, ich hab’ es satt. Man muss bedenken, dass ich schon mit 13 auf Tournee war, als Knabensopran. Seitdem bin ich mehr oder weniger immer unterwegs. Jetzt bin ich an einem Punkt, an dem ich meine Engagements und Projekte auswählen kann und an dem ich auch mal Nein sagen kann. Dafür habe ich hart gearbeitet, auch wenn zur Karriere auch Glück und Zufall gehören. Ich versuche jetzt, ein bisschen weniger zu machen und mehr zu Hause zu sein. Es tut mir gut. Okay, ich will verstärkt dirigieren. Das macht die Sache natürlich wieder schlimmer. (Lacht.)
-Ist es enger geworden auf dem Markt für Countertenöre? Es scheint, als ob alle halbe Jahre ein neuer Name auftaucht.
Die Branche wird größer, klar. Aber denken Sie daran, wie viele Soprane oder Baritone es gibt. Countertenöre werden noch immer als etwas anderes angesehen. Sie gelten als nicht so „echt“. Da vergleicht man sie erst recht untereinander. Ich sehne mich nach dem Tag, an dem wir alle einfach „da“ sind. Und an dem es nicht mehr heißt: Mehta steht da, Jaroussky dort, Cencic wieder anderswo.
-Gibt es immer noch ungeschriebene Repertoire-Grenzen? Ist das Publikum mittlerweile reif dafür, Mozarts Cherubino oder Sextus nicht von Mezzosopranen, sondern von Countertenören zu hören?
Die Frage ist nicht, ob das Publikum dies akzeptiert. Sondern: Ist es gut für das Stück?
Cherubino im „Figaro“ mit einem Counter zu besetzen, halte ich für völlig falsch. Das Entscheidende ist die Hosenrolle. Cherubino ist keine Frau, kein Junge mehr, aber auch noch kein Mann. Wenn er über eine erwachsene Sexualität verfügen würde, käme er niemals in die Garderobe der Gräfin. Dieses Dazwischensein kann von einem Mezzosopran besser gezeigt werden als von einem Countertenor.
-Ist Ihre neue CD mit Arien von Gluck und Mozart dennoch der Versuch, aus der Barock-Schublade herauszukommen?
Das ist eben unser Problem: Wir Countertenöre werden dauernd aufs Repertoire angesprochen. Juan Diego Florez, ein Tenor, den ich schätze und liebe, singt viel Belcanto, sein Repertoire ist eher klein. Andere singen ausschließlich Wagner. Jeder sollte sein Repertoire nach dem Typ seiner Stimme auswählen, das gilt für Counter wie für andere Sänger. Aber rechtfertigen müssen immer nur wir uns…
-Es fällt ja auf, dass die Karriere bei Countertenören nach ähnlichem Muster verläuft. Zunächst muss er Virtuose sein, dann erst darf er sich anderes erobern. Erst die Manege, dann die richtige Bühne.
Ich glaube, es hängt auch mit der Gesangstechnik zusammen. Die war in früheren Countertenor-Generationen eher schlecht. Und da sagten alle: „Das ist keine natürliche Stimme, die hält sowieso nur zehn Jahre. Macht also Spektakel, nach zehn Jahren suchen wir uns den nächsten aus.“ Wir gelten immer noch als eine neue Branche – obwohl die Realität völlig anders ist. Ich bin der lebende Beweis. Ich bin kein junges Küken mehr. Erst mit über vierzig erreicht meine Stimme nun ihre beste Phase – so wie es bei jeder anderen guten Stimme auch sein sollte.
-Was für ein Paradox: Es gibt seit Jahrzehnten einen Barock-Boom, und die Leute empfinden Sänger wie Sie immer noch nicht als „normal“…
Ich hoffe darauf, dass meine Stimme mit 60 noch gesund ist. Ich will mit meiner Karriere zeigen: Es ist eine normale Stimme, die man mit guter Technik – wie jeder andere Sänger – erhalten kann. Ich will mit 53 Händels Cäsar singen, einfach, weil dieser antike Held zur Zeit der Opernhandlung genau in diesem Alter war. Ein paar von uns müssen einfach nur alt werden und gut bleiben, dann denken die Leute anders.
-Anders als manche Counter-Kollegen decken Sie Ihre Stimme nicht und verfärben Sie nicht. Sie singen relativ offen und natürlich. Hängt das auch mit Ihrem Kampf um Normalität zusammen?
Ich finde, dass Gesangsstimmen ganz allgemein Wunder sind. Das Ziel für jeden Sänger sollte es sein, so natürlich wie möglich zu klingen. Ich arbeite daran, meine Stimme einfach gesund zu verwenden. Ich darf auch nicht imitieren. Man muss lernen zu akzeptieren, wer man ist. Dann kommt die Natürlichkeit von selbst.
-Das klingt, als ob Sie Ihre Karriere fest vorausgeplant haben.
Teilweise. Schon ganz am Anfang hatte ich mir vorgenommen: Ich will mit den Besten auf der Bühne stehen und dafür lieber kleine Rollen in Kauf nehmen. Nur dadurch lernt man etwas.
-Das setzt ziemliches Selbstbewusstsein voraus. Sie wussten also: Es wird etwas mit mir.
Selbstbewusstsein hatte ich von Anfang an. Aber das haben doch alle in dieser Branche, die Karriere machen. Ich bin ja schon als Kind aufgetreten. Ich stamme aus einer musikalischen Familie. Große Künstler wie Abbado oder Celibidache waren bei uns zu Gast. Ich wusste um meinen musikalischen Wert, der stimmliche war eine andere Frage.
-Sie wollen auch verstärkt dirigieren. Wie soll sich das entwickeln?
Keine Eile. Ich hab’ ja schon einen guten Job. (Lacht.) Ich will die Hochphase meines Singens nicht verpassen und sie genießen.
Das Gespräch führte Markus Thiel.